
Die Arbeitsbedingungen im Baugewerbe unterscheiden sich grundlegend von denen in anderen Branchen:
- Witterungsabhängigkeit: Arbeitsausfälle im Winter ("Schlechtwetterzeit") sind häufig.
- Hohe Fluktuation: Arbeitnehmer wechseln oft projektbezogen den Arbeitgeber.
- Saisonale Schwankungen: Die Beschäftigungszahlen variieren stark über das Jahr.
Das Standard-Arbeitsrecht kann diese Besonderheiten nicht adäquat abbilden. Ein Arbeitnehmer könnte beispielsweise durch häufige Wechsel nie einen vollen Urlaubsanspruch bei einem einzigen Arbeitgeber aufbauen. Um diese Nachteile auszugleichen und faire Bedingungen zu schaffen, haben die Tarifpartner der Bauwirtschaft (Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaft IG BAU) ein einzigartiges System geschaffen, das durch den Staat für allgemeinverbindlich erklärt wurde.
Dieses System besteht aus zwei untrennbar verbundenen Teilen:
- Der Baulohn: Die spezielle Methode der Lohn- und Gehaltsabrechnung.
- Die SOKA-BAU: Die Institution, die die branchenspezifischen Sozialleistungen verwaltet.
1. Der Baulohn: Besonderheiten der Lohnabrechnung
Baulohn ist der Oberbegriff für die komplexe Lohnabrechnung im Baugewerbe, die neben den üblichen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Abzügen spezielle branchenspezifische Komponenten berücksichtigt.
Die zentralen Elemente des Baulohns sind:
a) Das Urlaubsverfahren Dies ist die Kernbesonderheit. Da Arbeitnehmer oft nicht ein ganzes Jahr bei einem Arbeitgeber bleiben, wird der Urlaubsanspruch branchenweit "angespart".
- Funktionsweise: Der Arbeitgeber zahlt monatlich einen festen Prozentsatz (aktuell 15,40 % der Bruttolohnsumme für gewerbliche Arbeitnehmer) als Urlaubsbeitrag an die SOKA-BAU.
- Urlaubsentgelt: Nimmt der Arbeitnehmer Urlaub, zahlt der aktuelle Arbeitgeber ihm das Urlaubsentgelt aus.
- Erstattung: Der Arbeitgeber erhält das von ihm ausgezahlte Urlaubsentgelt anschließend auf Antrag von der SOKA-BAU erstattet.
- Vorteil: Der Urlaubsanspruch bleibt dem Arbeitnehmer auch bei einem Wechsel des Bauunternehmens vollständig erhalten. Nicht genommener Urlaub kann unter bestimmten Voraussetzungen als Urlaubsabgeltung oder Entschädigung direkt von der SOKA-BAU an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden.
b) Saison-Kurzarbeitergeld (Saison-Kug) Dies ist die branchenspezifische Weiterentwicklung des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes, speziell für die offizielle Schlechtwetterzeit (01. Dezember bis 31. März).
- Zweck: Es überbrückt witterungsbedingte oder konjunkturelle Arbeitsausfälle und verhindert Kündigungen im Winter.
- Leistungen: Arbeitnehmer erhalten 60 % (bzw. 67 % mit Kind) des ausgefallenen Nettoentgelts von der Agentur für Arbeit.
- Zusatzleistungen (finanziert aus einer Umlage aller Baubetriebe):
- Zuschuss-Wintergeld (ZWG): Der Arbeitgeber zahlt einen Zuschuss, um die Lohnlücke weiter zu verkleinern.
- Mehraufwands-Wintergeld (MWG): Eine pauschale Netto-Zulage von 1,00 € für jede geleistete Arbeitsstunde in der Schlechtwetterzeit, als Anreiz, die Arbeit bei geeigneter Witterung fortzuführen.
- Sozialversicherungsbeiträge: Die Beiträge zur Sozialversicherung für die Ausfallstunden werden von der Agentur für Arbeit erstattet.
c) Zusatzversorgung (ZVK) Dies ist die tarifliche Altersvorsorge für die Baubranche, die ebenfalls über die SOKA-BAU abgewickelt wird. Der Arbeitgeber führt monatlich einen Beitrag für die betriebliche Altersvorsorge seiner Arbeitnehmer ab. Auch diese Ansprüche bleiben bei einem Arbeitgeberwechsel erhalten.
d) Finanzierung der Berufsausbildung Alle Baubetriebe zahlen eine Ausbildungsumlage an die SOKA-BAU. Betriebe, die selbst ausbilden, erhalten von der SOKA-BAU eine anteilige Erstattung ihrer Ausbildungskosten. Dieses Solidarprinzip stellt sicher, dass sich die gesamte Branche an den Kosten für die Nachwuchssicherung beteiligt und nicht nur die ausbildenden Betriebe.
2. Die SOKA-BAU: Die Sozialkassen der Bauwirtschaft
Die SOKA-BAU ist die Dachmarke für die Sozialkassen der Bauwirtschaft. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. Ihre Hauptaufgabe ist die Organisation und Finanzierung der oben genannten branchenspezifischen Leistungen.
a) Wer muss teilnehmen? (Pflichtmitgliedschaft) Die Teilnahme ist nicht freiwillig. Der zugrundeliegende Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt.
- Das bedeutet: Alle Betriebe des Baugewerbes in Deutschland müssen sich beteiligen, unabhängig davon, ob sie tarifgebunden sind oder nicht.
- Geltungsbereich: Die Pflicht erstreckt sich auf alle Betriebe, die überwiegend "bauliche Leistungen" erbringen. Dazu gehören Hoch- und Tiefbau, Zimmerer-, Stuckateur-, Maler-, Dachdeckerarbeiten, Garten- und Landschaftsbau und viele weitere.
- Auch Personaldienstleister (Zeitarbeitsfirmen), die Arbeitnehmer an Baubetriebe überlassen, sind zur Teilnahme verpflichtet.
b) Die Hauptaufgaben der SOKA-BAU im Überblick
- Einzug der Beiträge: Sie zieht die monatlichen Beiträge der Betriebe für das Urlaubsverfahren, die Zusatzversorgung und die Berufsausbildungsumlage ein.
- Verwaltung des Urlaubsverfahrens: Sie führt für jeden gewerblichen Arbeitnehmer ein individuelles Konto, verbucht die vom Arbeitgeber gemeldeten Bruttolöhne und die daraus resultierenden Urlaubsansprüche und erstattet den Arbeitgebern die ausgezahlten Urlaubsentgelte.
- Rentenbeihilfe: Sie verwaltet die Zusatzversorgungskasse (ZVK) und zahlt die Betriebsrenten an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer im Alter aus.
- Förderung der Ausbildung: Sie zieht die Umlage ein und verteilt sie in Form von Zuschüssen an die ausbildenden Betriebe, um die Ausbildungsbereitschaft zu fördern.
- Datenerfassung und -kontrolle: Sie erfasst die Lohndaten aller Arbeitnehmer und kontrolliert die Einhaltung der tariflichen Mindestlöhne sowie die korrekte Abführung der Beiträge.
c) Meldepflichten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber hat gegenüber der SOKA-BAU umfangreiche monatliche Meldepflichten. Er muss für jeden Arbeitnehmer elektronisch übermitteln:
- Die Bruttolohnsumme
- Die geleisteten Arbeitsstunden
- Daten zu Ausbildung, Urlaub, Krankheit etc.
Diese Meldung ist die Grundlage für die Beitragsberechnung und die Gutschrift der Urlaubsansprüche.