
I. Definition und Zweck der Bilanz
Definition: Die Bilanz ist eine stichtagsbezogene, systematische Gegenüberstellung des Vermögens und des Kapitals eines Unternehmens in Kontoform. Sie zeigt auf, welche Vermögenswerte (Anlagen, Vorräte, Geldmittel etc.) ein Unternehmen besitzt und wie diese finanziert sind (durch Eigen- oder Fremdkapital).
Das fundamentale Prinzip: Die Bilanzgleichung Eine Bilanz muss definitionsgemäß immer ausgeglichen sein, daher der Name (ital. bilancia = Waage). Die Summe der linken Seite muss immer der Summe der rechten Seite entsprechen:
Summe Aktiva (Mittelverwendung) = Summe Passiva (Mittelherkunft)
- Aktivseite (Assets): Zeigt das Vermögen und beantwortet die Frage: Wofür wurden die finanziellen Mittel verwendet? (Investitionsstruktur)
- Passivseite (Liabilities & Equity): Zeigt das Kapital und beantwortet die Frage: Woher stammen die finanziellen Mittel? (Finanzierungsstruktur)
Zweck und Adressaten: Die Bilanz erfüllt mehrere Funktionen:
- Informationsfunktion: Sie informiert externe Adressaten (Investoren, Banken, Lieferanten, Kunden, Finanzamt) und interne Adressaten (Management, Aufsichtsrat) über die finanzielle Lage des Unternehmens.
- Dokumentationsfunktion: Sie dokumentiert lückenlos alle Geschäftsvorfälle, die zu einer Veränderung von Vermögen und Schulden geführt haben.
- Gewinnermittlungsfunktion: Durch den Vergleich des Eigenkapitals am Ende des Geschäftsjahres mit dem am Anfang (bereinigt um Einlagen und Entnahmen) lässt sich der Jahreserfolg ermitteln.
- Basis für die Besteuerung: Sie ist die Grundlage für die Ermittlung des steuerlichen Gewinns.
Die Bilanz ist der Kernbestandteil des Jahresabschlusses, der bei Kapitalgesellschaften zusätzlich aus der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) und dem Anhang besteht.
II. Rechtliche Grundlagen und Pflicht zur Bilanzierung
Die Pflicht zur Aufstellung einer Bilanz ist in Deutschland vor allem im Handelsgesetzbuch (HGB) verankert.
- Aufstellungspflicht (§ 242 HGB): Jeder Kaufmann ist verpflichtet, zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs einen Jahresabschluss (und damit eine Bilanz) aufzustellen.
- Wer ist bilanzierungspflichtig?
- Kapitalgesellschaften (GmbH, UG, AG) sind kraft ihrer Rechtsform immer bilanzierungspflichtig.
- Eingetragene Kaufleute (e.K.) und Personengesellschaften (OHG, KG).
- Gewerbetreibende, die bestimmte Größenkriterien überschreiten (mehr als 600.000 € Umsatz oder 60.000 € Gewinn pro Jahr, § 141 AO).
- Wer ist befreit?
- Freiberufler und kleine Gewerbetreibende unterhalb der genannten Grenzen können ihren Gewinn durch eine einfachere Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) ermitteln.
III. Der Aufbau der Bilanz nach HGB
Das HGB gibt in § 266 eine klare Gliederungsstruktur für die Bilanz vor.
A. Die Aktivseite (Mittelverwendung)
Die Aktivseite ist nach zunehmender Liquidität geordnet – wie schnell sich ein Vermögenswert in Geld umwandeln lässt.
- Anlagevermögen (Fixed Assets): Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dem Geschäftsbetrieb dauerhaft zu dienen.
- Immaterielle Vermögensgegenstände: Patente, Lizenzen, Marken, Software, Geschäfts- oder Firmenwert.
- Sachanlagen: Grundstücke und Bauten, technische Anlagen und Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung.
- Finanzanlagen: Anteile an verbundenen Unternehmen, langfristige Wertpapiere, Ausleihungen.
- Umlaufvermögen (Current Assets): Vermögensgegenstände, die nicht zum Anlagevermögen gehören und im Rahmen des Geschäftsbetriebs kurzfristig veräußert, verbraucht oder umgesetzt werden sollen.
- Vorräte: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige und fertige Erzeugnisse, Waren.
- Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände: Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (offene Kundenrechnungen), Forderungen gegen verbundene Unternehmen.
- Wertpapiere: Kurzfristig gehaltene Anteile oder Wertpapiere des Umlaufvermögens.
- Liquide Mittel: Kassenbestand, Bankguthaben und Schecks.
B. Die Passivseite (Mittelherkunft)
Die Passivseite ist nach abnehmender Fristigkeit geordnet – wie lange das Kapital dem Unternehmen zur Verfügung steht.
- Eigenkapital (Equity): Das Kapital, das die Eigentümer dem Unternehmen zur Verfügung gestellt haben oder als Gewinn im Unternehmen belassen haben. Es ist das „Risikokapital“ und stellt die Differenz zwischen Vermögen und Schulden dar.
- Gezeichnetes Kapital: Das nominale Stamm- oder Grundkapital (z.B. 25.000 € bei einer GmbH).
- Kapitalrücklage: Zusätzliche Einlagen der Gesellschafter von außen.
- Gewinnrücklagen: Einbehaltene (thesaurierte) Gewinne aus Vorjahren.
- Gewinn-/Verlustvortrag: Unverteilter Gewinn oder Verlust aus dem direkten Vorjahr.
- Jahresüberschuss/-fehlbetrag: Das Ergebnis des aktuellen Geschäftsjahres (die Verbindung zur GuV).
- Rückstellungen (Provisions): Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach, aber nicht in ihrer Höhe oder Fälligkeit, sicher sind. Sie dienen der kaufmännischen Vorsicht.
- Beispiele: Pensionsrückstellungen, Steuerrückstellungen, Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften oder für Gewährleistungen.
- Verbindlichkeiten (Liabilities): Konkrete Schulden gegenüber Dritten, die nach Höhe und Fälligkeit feststehen.
- Anleihen: Ausgegebene Schuldverschreibungen.
- Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten: Bankkredite.
- Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen.
- Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen: Offene Lieferantenrechnungen.
- Sonstige Verbindlichkeiten: z.B. gegenüber dem Finanzamt oder den Sozialversicherungsträgern.
IV. Die Bilanz als Analyseinstrument
Aus der Bilanz lassen sich wichtige Kennzahlen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens ableiten:
- Kapitalstruktur: Das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital (Eigenkapitalquote) gibt Auskunft über die finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit des Unternehmens.
- Vermögensstruktur: Das Verhältnis von Anlage- zu Umlaufvermögen (Anlagenintensität) zeigt, wie flexibel das Unternehmen auf Marktveränderungen reagieren kann.
- Liquidität: Kennzahlen wie die Liquidität 1., 2. oder 3. Grades setzen kurzfristige Vermögenswerte ins Verhältnis zu kurzfristigen Verbindlichkeiten und zeigen, ob das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.